"Behindert"

Winter, morgens, es schneit. Ich geh die erste Runde mit den Hunden. Millimeterweise arbeitet sich mein Rollstuhl durch den frischen Schnee. Meine Gasthunde, 2,5 und 4 kg, stapfen, eingepackt wie ein Michelinmännchen, hinter mir her und belegen mich mit Tiernamen. Mein Rolliterrier entdeckt einen Raben mit einem Stück Brot im Schnabel und lauert. Der Labradorverschnitt hingegen geht immer der Nase nach und bleibt dabei an einem Mülleimer kleben. Ich arbeite mich weiter durch den Schnee, ermahne meinen Terrier den Raben in Ruhe zu lassen, erinnere den Labbi daran, dass Mülleimer tabu sind und ermutige die Kleinteile wenigstens noch ein paar Meter durch die Kälte zu stapfen. Und tatsächlich, sie geben Gas. Zusammen mit meinem Terrier starten sie gemeinsam auf den Raben los. Der Labbi lässt sich von dem schönen Spiel anstecken. Jeder versucht als erstes die Beute zu erreichen, die der Rabe erschrocken fallen gelassen hat. Ich lasse einen lauten Brüller los, versuche die Hunde zu blocken, was mir nicht gelingt, weil meine Rollstuhlräder immer tiefer in den Schnee versinken und meine Hände klatsch nass und erfroren sind.
Ein Pärchen geht an mir vorbei, beobachtet mich mit den Hunden und tuschelt. Ich schnappe noch den Rest eines Satzes auf:
„Damits wenigstes a bisserl a Freud hat am Leben !“
Behinderte Menschen sind anscheinend komplett Spaß befreit. Und bemitleiden muß man sie auch. Zumindest ist das die Meinung vieler nichtbehinderter Menschen. Kein Wunder, daß die Meinung über behinderte Hunde genauso schlecht ist.
Die klassische Vorstellung eines behinderten Menschen ist einer, der nur noch seine Hände und seinen Kopf bewegen kann, nicht belastbar und vermutlich geistig auch noch zurückgeblieben ist.
Jeder, der dieser Vorstellung nicht entspricht, also normale Dinge tut, z.B. berufstätig ist, eine Familie und Hobbys hat, gilt gleich als etwas Besonderes.
Durch Unwissen entstehen hier Vorurteile und Berührungsängste.
Unseren behinderten Hunden geht das nicht anders.
Der Hund gilt bei vielen immer noch als Statussymbol. Man hat das Idealbild eines Schäferhundes im Kopf, der über die A-Wand saust. Oder auch die Katze, die grazil über den Dachsims balanciert und ihren Besitzern stolz die Maus in ihrem Mäulchen präsentiert.
Behinderte Tiere entsprechen diesem Ideal nicht.
Das Leben als behinderter Mensch ist nicht schlechter als das von Nichtbehinderten, nur anders. Ich denke nicht 24 Stunden am Tag über meine Behinderung nach. Viel lieber trainiere ich Hunde, geh Gassi oder zum Tanzen. Ja, ich gehe Gassi, mit Rolli. Ob jemand beim Gassi im Rolli oder zu Fuß unterwegs ist, macht keinen Unterschied. Der Weg ist das Ziel. Die Hunde sollen Spaß haben.
Unsern behinderten Hunden geht das genauso. Auch sie haben die gleichen Bedürfnisse, wie nichtbehinderte Hunde. Auch wenn behinderte Hunde, die genau das gleiche machen wie nichtbehinderte Hunde in den Augen vieler schon wieder Wunderhunde sind.
Sind sie nicht. Es sind nur Hunde, die den gleichen Spaß haben wie andere Hunde auch.
(Auszug aus dem Vortrag von Linda Erdl zur Weiterbildung über Rollihunde in Pfaffenhofen 2019)

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